Langsam, aber doch agiert der heimische Journalismus transparenter. Trauen wir uns doch mehr!
Thomas Hofer, als Politikanalytiker weltberühmt in Österreich, sitzt vor dem Mikrofon und bekommt einmal nicht die üblichen Fragen – Wie rechts ist die FPÖ? Warum sagt der Bundespräsident gerade nichts und schaut nur muffig? Was um Himmels willen ist in der SPÖ los? Nein, hier bekommt er eine Frage gestellt, die er sonst nie on air hört: Für wen arbeitest du als Berater? Für die Politik nicht, sagt Hofer, für öffentliche Institutionen schon. Und er zählt professionell Schwerpunkte seiner Auftraggeber auf, Energiesektor, Gesundheit, Industrie, keine Firmennamen, das Beratergeschäft ist diskret. „Ich werde auch in der Vorbereitung eines Interviews normalerweise nicht gefragt, ob ich gerade für irgendjemanden in dem Bereich arbeite“, meint Hofer, man wundere sich manchmal schon. Mehr Offenlegung fände er für alle Beteiligten wichtig: „Es gibt teilweise ein schlampiges Verhältnis.“
Ein eleganter Euphemismus. Transparenz ist ein wichtiges Instrument gegen Verhaberung und das strukturelle Nähe- und-Distanz-Problem zwischen Politik, Wirtschaft und Medien, gerade in einem kleinen Land wie Österreich. Es ist ja auch gemütlicher in der Grauzone. Gerade deswegen ist die Transparenz-Passage zu Beginn jeder Folge des politischen Podcasts „Ganz offen gesagt“ ein Herzstück des Formats – Thomas Hofer war im Frühjahr 2018 zu Gast und hat über die Politikberater-Welt erzählt. Im Sommer 2017 hatten Eva Weissenberger, Sebastian Krause und ich diesen Podcast gegründet, bei dem man jeden Gast aus dem politmedialen Komplex nach seinen Auftraggebern fragt und das persönliche Verhältnis zwischen Host und Gast offenlegt: Warum sind wir per Du, woher kennen wir uns, welche Art Beziehung verbindet uns? Natürlich herrscht im Podcast keine Wahrheitspflicht (leider), dennoch ein gewisser Druck auf die Gäste, ihre Interessen offenzulegen – und sagen wir einmal so: es teilt sich den Zuhörenden meist schon mit, wenn jemand versucht, sich um die Offenlegung herumzuschlängeln.
Transparenz im Journalismus ist mühsam, verändert die Arbeitsweise, macht angreifbarer. Lange galt hierzulande: Schon alleine das Reden über Qualität und Anspruch schafft mehr Qualität und Anspruch, man muss sich ja nicht auch noch um mehr Transparenz bemühen. Der Harvard-Philosoph David Weinberger hatte schon 2009 einen Auftrag für das digitale Zeitalter formuliert, der sich seitdem in den USA längst als Maßstab für modernen Journalismus etabliert hat: Transparency ist the new objetivity. Langsam, vorsichtig, aber doch setzt sich der Gedanke jetzt erfreulicherweise auch im heimischen Journalismus durch. Nicht nur, weil man hehre Ideale vertritt; nein, Glaubwürdigkeit und damit geschäftlicher Erfolg bei Lesern und Konsumentinnen hängen mehr und mehr mit dem Transparenzgedanken zusammen. Transparenz ist sympathisch, vertrauensstiftend und zeugt von Selbstreflexion. Gerade junge Menschen, die herkömmliche Medien heute immer schwerer erreichen, verlangen einen transparenten Umgang mit Inhalten. Und mit ihnen, dem Publikum.
Wie und warum entstand diese Geschichte? Mittlerweile gibt es Offenlegungen zu Recherchen in heimischen Medien, wenn auch nicht als regelmäßige Elemente. Einzelne Kollegen wie etwa „Kleine Zeitung“-Redakteur Georg Renner arbeiten an der Transparenzidee, er erläutert seit einigen Monaten Details und Hintergründe zu politischen Recherchen im Blatt zusätzlich auf seinem Facebook-Account – zuletzt etwa die interessante Geschichte rund um die Veröffentlichungsstrategie der Antisemitismus-Studie des Parlaments. „Ö1“ macht mit seinem monatlichen Medien-Magazin „Doublecheck“ Vorgänge in der Branche und im ORF transparent, die Umsetzung des ambitionierten Formats 2017 war für ORF-Verhältnisse ein mutiger Schritt.
In der aktuellen Folge widmen sich Nadja Hahn, Stefan Kappacher und Rosanna Atzara der umstrittenen Kultur der Journalistenbegleitung von Politikerreisen, diesmal anhand der Reise von Bundeskanzler Sebastian Kurz zu US-Präsident Donald Trump – und sie schauen nicht nur auf die Printkollegenschaft. Total transparent werden auch Radio-Chefredakteur Hannes Aigelsreiter und Radio-Außenpolitik-Leiter Hartmut Fiedler zu Politikerreisen befragt (allerdings nicht dazu, warum der Hörfunk jemand in die USA schickt, obwohl es dort ein Korrespondentenbüro gibt). Die „Hausgeschichte“ im ORF– das wäre auch einmal eine interessante Meta-Geschichte fürs Medienmagazin.
An einer anderen Transparenzfront sind viele Print-medien dem Öffentlich-Rechtlichen jedenfalls voraus. Die meisten haben schon längst Rubriken für ihre Fehler oder Irrtümer eingeführt. Der ORF hat zwar vergangenes Jahr neue „Leitlinien für den Umgang mit journalistischen Fehlleistungen“ groß angekündigt und in einer Arbeitsgruppe behandelt, doch bisher nicht öffentlich präsentiert.
Vielleicht ist das Ringen um Transparenz für den Journalismus auch so schwierig, weil manche es als Angriff auf das eigene Selbstverständnis werten. Die Rolle der vierten Gewalt ist brüchig geworden, heute sind Journalistinnen und Journalisten eher Kuratoren inmitten der Informationsflut. Sie stehen nicht mehr ganz oben und informieren gnädig das Volk, sie werden hinterfragt und müssen sich einem ständigen Dialog mit ihrem Publikum stellen. Man weiß, dass das so ist, aber es gefällt manchem gar nicht.
Wer transparent agieren will, muss heute mehr tun, als Einladungen zu Politiker-Reisen auszuweisen, das ist keine große Leistung mehr. Man sollte selbstverständlich alles transparent machen, was dem Medienprodukt im Zuge der Berichterstattung zur Verfügung gestellt wird, ob Bücher, Autos, Reisen oder andere Produkte – und das irritiert altgediente Kollegen noch immer, wie ich aus Erfahrung weiß.
Das größte Transparenz-Problem zwischen Journalismus, Politik und Wirtschaft liegt aber dort, wo persönliche Beziehungen entstehen, wo sich Verpflichtungen entwickeln – aber man so tut, als wäre man objektiver Berichterstatter. Noch vor wenigen Jahren sagten manche Kollegen Interviews allen Ernstes mit dem Zusatz an: „Das ist ein Freund von mir“; und wenn man darauf erwiderte: „Wenn es ein Freund ist, dann geht das leider nicht“ hörte man: „Also so ein guter Freund wieder auch nicht.“ Man kann dieses Problem sauber lösen, wenn man will: Im Zweifelsfall einfach eine Geschichte abgeben – man wird es überleben. Oder das Interview durch einen Zusatz über das persönliche Verhältnis ergänzen. Zum beliebten Gegenargument „das kostet nur Platz, das geht zu weit“ kann ich nur sagen: Wenn, dann geht es vor allem einem selbst zu weit.
Natürlich wird es in einer überschaubaren politmedialen Szene immer Graubereiche geben. Wer mit wem auf welchen nicht öffentlichen Kanälen in strategischem Kontakt ist, kann man von außen schwer durchschauen. Diskrete Männerbünde und Seilschaften entziehen sich ebenso der Transparenz, aber daran machen sich zumindest Frauen nicht mitschuldig, die sind in einigen Vereinen ja nicht erwünscht.
Das sind wir, so machen wir unseren Job – mit dieser offenen Haltung können Medien heute viel gewinnen und wenig verlieren. Und mit einem neuen Selbstverständnis schmerzt es auch nicht mehr so sehr, nicht mehr so schön von oben herab predigen zu können.
Julia Ortner
Dieser Text ist am 9. März 2019 als Gastkommentar in der „Presse“ erschienen.
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